Nachdem Sohn und Mutter das Haus verlassen hatten, machten die Tochter und ich uns auf den Weg zur Klinik. Gestern am Telefon hatte man uns ja gesagt, es wäre gut, den Knöchel der Tochter röntgen zu lassen nach der Verstauchung auf der Rutsche.
Ich dachte: Hey, der Bus, der bei uns fast vor der Haustüre abfährt, fährt ja direkt zur Klinik. An der Bushaltestelle sah ich dann wieder: Wir leben ja in Tübingen, der ach so grünen Stadt, in der die meisten Busse nur ein mal in der Stunde fahren. Wir machten also erst einmal einen kleinen Spaziergang durch die Altstadt zur besser frequentierten Bushaltestelle und waren um halb neun in der Klinik.
Zuerst suchten wir den richtigen Eingang. Eine junge Frau empfing uns und händigte mir einen Fragebogen aus. Ich kreuzte brav alles an, auch dass die Tochter vor einem Tag noch Erkältungssymptome gehabt hatte. Als ich den Zettel wieder abgab, wurden wir erst einmal in einen separaten Wartebereich geschickt. Nach ein bisschen Herumtelefoniererei kam die junge Frau wieder und sagte: „Sie dürfen durch unsere spezielle Corona-Schleuse gehen. Dort nimmt sie dann jemand in Empfang.
Wir gingen durch die Schiebetür, die die Tochter ganz toll fand einen Gang entlang und landeten durch den Hintereingang in der Kinderklinik. Dort verfrachtete uns eine Schwester sehr schnell und bestimmt in ein Zimmer.
Die Tochter hatte ja vor zwei Tagen bei der Kinderärztin erst einen Test gemacht, aber leider war das Ergebnis noch nicht da. Das wurde noch ein bisschen erörtert, dann war klar: Es musste auch noch mal ein test gemacht werden.
Zuerst kam aber ein junger Arzt, um die Tochter schon mal zu untersuchen. Sie heult inzwischen immer schon los, wenn man sie auf eine Arztliege setzt. Diesmal war es auch nicht so angenehm. Ihr Knöchel musste auf seine Funktionstüchtigkeit hin untersucht werden. Der sehr nette Arzt drehte und wendete den Fuß, während ich die schreiende Tochter auf dem Arm hatte. Ich glaube, er sagte, es sei soweit alles ganz ok, sie müssten nur zur Sicherheit noch einmal röntgen. Alles verstand ich nicht, aufgrund der akustischen Gesamtsituation.
Danach kam die Schwester, um noch den Corona-Test zu machen. Ohne den darf man nämlich nicht durch das halbe Gebäude zum Röntgen laufen. Die Tochter ahnte schon, as kommt, als sie das lange Wattestäbchen sah und heulte auch auf meinem Schoß. Zum Glück ging der Test ähnlich schnell wie bei der Kinderärztin.
Danach mussten wir erstmal fünfzig Minuten in dem Raum warten, bis das Ergebnis des Testes kam. Die Tochter schlief zum Glück ein und erholte sich etwas. Ich hatte mir in weiser Voraussicht etwas zum Lesen mitgebracht.
Nach fünfzig Minuten kam die Schwester wieder: Test negativ. Ich will gar nicht wissen, was los gewesen wäre bei einem positiven Testergebnis. So beschrieb sie uns den Weg zur Kinderradiologie. Die Beschreibung war so komplex – „Erst links, dann rechts.. dann wieder rechts…dann links…wieder links… dann wieder rechts“ – dass ich statt der Beschreibung den Schildern zur Radiologie folgte. Dort schickte man mich weiter zur Kinderradiologie, die noch mal woanders war.
Dort angekommen meldeten wir uns an und warteten in einem kleinen Wartezimmer. Die Tochter bestaunte Menschen, die auf Betten durch den Flur geschoben wurden und sowieso alles in der Klinik.
Wir durften zum Röntgen. Ich musste die Tochter festhalten, die wieder heulend auf einer Arztliege saß. Die Radiologin erklärte mir, wie ich den Fuß unter das Röntgenbild zu halten hatte. Dann ging sie und sagte: „Tschüss!“ Ich ließ los, die Ärztin kam genervt zurück und sagte: „Nein, das mit dem ‘Tschüss’ war ein Trick, um die Tochter zu beruhigen. Sie sind noch nicht fertig. Die Aufnahme kommt erst noch.“ Super Trick.
Danach machte sie dann die Röntgenaufnahme. Sie schickte uns weiter zur Kinderchirurgie nebenan: „Sie müssen nur der gelben Linie bis ans Ende folgen.“ Wir folgten der gelben Linie nach nebenan. Ich stand vor einem Zimmer. Eine Schwester kam raus: „Was wollen Sie?“ Ich erklärte, wir kämen gerade vom Röntgen… „Ja, jetzt gehen Sie erstmal wieder raus und warten dann da!“ Wir warteten draußen im Wartebereich. Kurze Zeit später kam die Schwester mit einem Kollegen raus, der fragte: „Wer sind Sie? Wo kommen Sie her?“ Ich erklärte noch mal alles, so gut es ging. Er sagte: „Ach so, Sie waren vorher in der Kinderklinik. Ja, dann müssen Sie da auch wieder hin. Hier sind Sie falsch!“
Wir gingen also wieder den weg zurück in die Kinderklinik. Dort zog ich eine Nummer an der Anmeldung, wartete, erklärte dann wieder, warum wir da waren. Nach einigem Hin und Her gab die Dame am Empfang unseren Namen in den Computer ein und meinte: „Das verstehe ich nicht. Sie sind hier angemeldet worden…Aber Sie müssen doch in die Kinderchirurgie!“
Ich erklärte nochmal, die hätten mich ja hergeschickt. Originalzitat der Dame von der Anmeldung: „Das kann nicht sein! Ich habe drei Jahre dort gearbeitet! Bei der Kinderchirurgie schickt Sie niemand weg. Warum auch immer Sie hier sind, die haben Sie nicht weggeschickt!“ Ich sagte einfach nur ja, um das Ganze abzukürzen, wie auf anderen Ämtern auch. Den Satz „Das kann nicht sein!“ habe ich schon öfter gehört. Immer in Situationen, in denen ich leider im Gegensatz zu meinem Gegenüber genau wusste, dass es eben doch sein konnte.
Wir gingen also zurück zur Kinderchirurgie, meldeten uns nochmal an, warteten eine Dreiviertelstunde und durften wieder eintreten. Wir standen wieder vor dem Zimmer, vor dem der gelbe Strich endete. Der Krankenpfleger, der uns vorher weggeschickt hatte, kam heraus, meinte: „Ach, eigentlich hätten wir Sie vorher doch gleich dabehalten können…“ Ich sagte gar nichts mehr.
Wir warteten noch eine ganze Weile in dem Raum mit der Arztliege, bis ein sehr junger Arzt kam, der uns sagte, es sei alles ok. Nichts gebrochen.
Die Tochter bekam noch einen „Voltaren-Verband“. Sie heulte erst wieder, aber irgendwie machte die Krankenschwester den Verband so gut, dass Sie zum Ende der Prozedur nur noch ganz fasziniert zuschaute. Vielleicht ist sie also doch noch nicht komplett traumatisiert von Krankenhausbesuchen.
Um halb eins waren wir endlich wieder draußen. Ich setzte meine frisch im Krankenhaus erhaltene FFP2-Maske ab und wir machten einen schönen Spaziergang Richtung Heimat in der Frühlingssonne. Die Tochter hatte eine Brezel bekommen und schlief zufrieden ein.
Ich ging mit ihr noch in die Apotheke, um Voltaren zu besorgen, weil der Arzt gesagt hatte, wir könnten den Verband auch selber wieder auffrischen. Der Apotheker klärte mich dann darüber auf, dass Voltaren für Kinder unter zwölf Jahren komplett verboten sei. Der Arzt in der Klinik war da wohl noch nicht drüber informiert worden.
Ich kaufte was Verträglicheres und wir gingen heim. Bald darauf holten wir den Sohn aus dem Kindergarten. Ich beschäftigte die Kinder noch irgendwie bis zum Abend. Die Mutter kam heim. Es gab gutes Essen. Ich machte noch Tai Chi per Zoom mit den Stimmen zweier abwechselnd schreiender Kinder im Hintergrund, erzählte dem Sohn och Geschichten über hilfreiche Giraffen und Zebras und dann ging dieser lange Tag zu Ende.
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