Versautes Theater

Bei der Bild kann man heute einen atemlos entsetzten Artikel über eine blutige Inszenierung des “Fliegenden Holländers” lesen. Es handelt sich wohl um eine jener modernen Inszenierungen, die nicht mit Schock-Effekten spart und nun zum Millionsten mal Gelegenheit zur Entrüstung bietet. Überraschend, dass sich überhaupt noch jemand darüber aufregt. Inzwischen müsste man doch auch im Theater völlig abgestumpft sein gegen so etwas.

Und da kommen wir schon zum entscheidenden Punkt: Ich verstehe einfach nicht, wie man sich darüber aufregt, dass “eine Frau sich die Arme mit Blut beschmiert” während im Kino permanent Filme laufen, in denen Blut nicht nur irgendwo draufgeschmiert wird, sondern lustig aus allen erdenklichen künstlichen und natürlichen Körperöffnungen quillt.

Das Gleiche gilt für mich für die Feststellung, man könnte in dieser Inszenierung Videos von Tierschlachtungen sehen. Ich finde es ganz angebracht, sich in einer Gesellschaft, die sich im Vorabendprogramm an Wurstproduktionsdokumentationen ergötzt, mal anzuschauen, wo der ganze Prozess eigentlich anfängt. Nicht dass mich jetzt jemand hier für einen Heiligen hält: Ich esse auch Fleisch, aber ich weiß, wo es herkommt.

Ich frage mich auch, wie eine saubere Inszenierung eigentlich aussehen müsste: Muss dann jeder auf der Bühne sterbender Darsteller ein tragen, auf dem steht: Nein, nein liebe Zuschauer, er stirbt nicht wirklich, das ist ja kein Fernsehen hier. Gesungen würden Opern dann wohl auch nicht mehr. Stattdessen haucht man die Arien pathetisch in eine Minimal-Music-Streicher-Schleife hinein. Bei der zehnten Wiederholung des immergleichen Wortlauts dürften dann die meisten einigermaßen verstanden haben, worum es geht.

Schon, dass ich jetzt hier diesen Beitrag dazu schreibe hat etwas hoffnungslos Erbärmliches. Vielleicht kommt ja bald der Tag, an dem man sich mal so richtig aufregen kann: Skandal! Nur zehn Leichen im neuen Actionfilm von XY! Wir wollen unser Geld zurück! Das wäre mal was.

Ein Gedanke zu “Versautes Theater”

  1. Hallo, Harry!

    Dein Unverständnis teile ich voll und gänzlich. Nichts ist doch logischer und vernünftiger, als daß die Inszenierung unseres Opernrepertoires in Zeiten knapper Kassen dem Bilderduktus des Kinos und des Privatfernsehens angepaßt werden. Vielleicht bekommen wir Joe den Klempner auf diese Weise weg von seiner Potatoe-Couch und rein in den Plüschsessel der Staatsoper. Die paar Besucher mit ausgeprägtem Geschmack, Sinn für dezente und bedeutungsvolle Gesten sowie die Stimmigkeit von Musik und Bühnendarstellung zählen ja nicht, denn die zahlen zu wenig. Um die Oper zu retten, muß eindeutig mehr Show gemacht werden. Zehn Leichen in der nächsten Inszenierung des “Figaro” wäre doch ein erstes Ziel, der Anfang vom Ende unserer aktuellen Kulturkrise.

    Und wenn die Krisis im Exitus endet – was soll’s? Dann haben wir eben mehr Zeit für’s Fernsehen!

    Danke für diesen Gedankenanstoß!

    Herzliche Grüße,
    Sigmar

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