Ich war dabei mein Examen anzumelden und stellte fest, dass man dabei neben diversen anderen Formularen auch seine Geburtsurkunde vorlegen muss, wahrscheinlich um zu beweisen, dass man wirklich existiert, nicht dass die nachher einem Phantom die Prüfung abnehmen, das sie nur aufgrund seiner übernatürlichen Fähigkeiten besteht. Aber was soll’s, so ein Formular dürfte ja schnell beschafft sein, dachte ich, ein Anruf zu Hause und ich würde den Wisch in Händen halten. “Ach so, deine Geburtsurkunde, ja, äh, also ich weiß gar nicht, also, hier ist eine von deinem Bruder, aber deine kann ich nicht finden…” Es gab also keine Geburtsurkunde von mir. Sollte der Traum, den so mancher in der Pubertät schon träumte nun in meinem Fall ganz erwachsene Wirklichkeit werden? Der Traum, nicht das Kind seiner Eltern zu sein? Mit ein paar Freunden rätselte ich über meine wahre Herkunft, aber ihren Vorschlag, ich wäre sicher ein Urenkel Bismarcks fand ich nicht so schmeichelhaft und träumte selber laut davon, das verheimlichte Kind von JFK und Marylin Monroe zu sein, auch wenn ich dann schon um einiges älter sein müsste, als ich bisher zu sein glaubte. Wir einigten uns dann darauf, dass ich ein Nachfahre Einsteins sei, das war für beide Seiten ein annehmbarer Kompromiss zwischen Skurrilität und verkanntem Genie. Am Ende stellt sich wahrscheinlich raus, dass ich das Kind ganz normaler Menschen bin, die auch vorausschauend genug gewesen wäre, meine Geburtsurkunde nicht zu verschlampen, wenn ich damals nicht entführt worden wäre…
Der Gerechtigkeit halber muss man sagen, dass die Urkunde dann doch relativ schnell wieder beschafft war. Manchmal ist Bürokratie doch weniger abgefahren als die verschlungenen Wandelgänge meiner Phantasie. Aus der Traum von einer zweiten aufregenden Identität, aber Hauptsache, man hat überhaupt eine.